"Wer das Geld hat, hat die Macht;
bis es unter'm Auto kracht."
Uralter Linksradikalenspruch
"Die Teile der Handlung müssen so zusammengesetzt sein, daß das Ganze sich verändert und in Bewegung gerät, wenn ein einziger Teil umgestellt oder weggelassen wird. Wo aber Vorhandensein oder Fehlen eines Stücks keine sichtbare Wirkung hat, da handelt es sich gar nicht um einen Teil des Ganzen."
Aristoteles, Poetik
Endlich mal wieder Zeit und Raum, um ein wenig abzumeckern. In den letzten Ausgaben wurde unter dieser Rubrik ja mehr dem missionarischen Pfadfinderanspruch gehuldigt: jeder Artikel eine gute Tat. Schluß. Aus. Man muß auch Mut zur Selbstkritik haben. An diesem Punkt kann man dann auch gleich ansetzen; beginnen wir doch mit einem Geständnis: Falls es noch keiner gemerkt hat, aber nicht alles, was in den Geschäften der wohlfeilen Unterhaltung angeboten wird, ist es wirklich wert seinen Einzug in die Spielewelt zu schaffen.
Da wickelt man zu Hause das eben erstandene Supplement aus seiner Folie, öffnet es, liest und dann ... wird einem irgendwie flau im Magen, die Retina zieht sich zusammen, geblendet von einem Farben- und Zeichnungenspiel, das so aussieht als wäre ein Marketingmuckel in einen Kindergarten für motorisch Gestörte (Achtung: Satire!) gestiefelt und hätte einen Malwettbewerb ausgeschrieben, bei dem nur mit den Füßen und verbundenen Augen gekleckst werden darf. Der Text, ja der Text, der besteht aus Wörtern, die von einem Computer Baujahr '78 zufallsgeneriert wurden, und entstammen einem Wortschatz, der kleiner ist als das simbabwische Stammesdialektvokabular von (Dr. jur.) Helmut Kohl™. Sollte man den Inhalt des Supplements laut vorlesen, auf Band aufzeichnen und später einmal rückwärts abspielen, so hört man: "Dies ist Scheiße, aber du hast kräftig dafür gelatzt. Dies ist Scheiße, aber du hast unglaublich kräftig dafür gelatzt. Dies ist Scheiße..."
Da man sich im Interesse seines Sitzfleisches mit derlei Machwerken auch nicht mal mehr im Schritt sauber halten kann (die Qualität des Papiers ist dafür zu mies), bleibt oft nur die traditionelle Hinrichtung mit Schere, Benzin, Feuerzeug und Sekt (zum Anstoßen). Wie soll man das eben Erlebte auf einen Nenner bringen, wie kann man die aufgewühlten Gefühle in einer griffigen Formel zusammenfassen? Ganz einfach: überflüssig. Das ganze Rollenspielsupplement war überflüssig.
Natürlich ist es sehr schwierig, eine Linie zu ziehen wo das Überflüssige überhaupt anfängt. Überall, wo man sich Dinge über die pure und unmittelbare Zweckgebundenheit hinaus zulegt, einfach nur weil es witzig oder schön ist, wäre eigentlich ein überflüssiges Ding gegeben. Darunter fallen schon bunte oder glitzernde Würfel, schließlich würfelt man mit einfarbigen, langweiligen Exemplaren genauso gut oder schlecht. Oder Merchandisingprodukte wie Anstecknadeln oder Tassen. Als nutzlos ist etwas erst zu bezeichnen, wenn man nach dem Lesen, bzw. Anschauen das Gefühl hat: Das war alles, dafür habe ich Geld ausgegeben? (Detailierter: s. o.).
Kleine Zwischenbemerkung: es ist nicht die Absicht anzudeuten, daß die kleinen Firmen generell Bockmist bauen und alles von White Wolf™ des Rollenspiels letzte Weisheit ist. Auch wenn etwas wunderschön aufgemacht ist, kann es überflüssig sein. Nur bemerkt man es dann etwas später und es ist besser zu verkraften.
Manchmal hat man halt mehr den Eindruck, als säße nicht ein Spieledesigner am Schreibtisch, sondern ein Betriebswirtschaftler, der seine Abschlußarbeit über das Thema "Wie mache ich aus Müll Geld?" geschreiben hat und nun für ganze Produktlinien verantwortlich ist.
Um einmal anzudeuten, welch erstaunlichen Ergebnisse man in der Zukunft generell zu erwarten hat, folgt nun eine Vorausschau auf die kommenden Erscheinungen.
Hier offenbart sich oft schon der erste Teil des Witzes, da die Herren Spieleproduzenten uns ja fast durch die Bank länger auf ihre neuen Ergüsse warten lassen als angekündigt. Bis dahin ist jeder halbwegs geile Fan mindestens fünfmal in einen Laden gestiefelt, hat, voller Hoffnung im Herzen und flehendem Schimmer im Augapfel, gefragt: "Ist das neue X von Y schon draußen." Dann windet sich der Verkäufer / die Verkäuferin voll peinlicher Berührung, da er dem schon jetzt enttäuschten Kunden abermals ein unvermeidbares "Nein!" vor den Bug knallen muß. Daraufhin strebt der geknickte Kunde mit gesenktem Haupt dem Ausgang zu, zuckt noch einmal zusammen wenn es hoffnungsvoll "Aber wir erwarten es jeden Tag!" aus dem Lager tönt. Die Tür fällt hinter ihm ins Schloß. Übermorgen ist er wieder da.
"He got kicked in the head by a horse when he was a kid. He's awright. Just ain't bright. But he can do anything you tell him."
John Steinbeck, Of Mice and Men
In diesem feinen Beispiel von Innovation und Kreativität werden neue Charakterklassen vorgestellt, bzw. alte neu beleuchtet, bzw. alte erweitert, ausgedehnt, ausgewrungen - you name it.
Zunächst werden Hintergrundinfos zur Novität gegeben (der Idiot ist ein dummer Zeitgenosse), seine historische Herleitung (der Idiot war schon immer dumm), seine Perspektiven (der Idiot wird immer dumm bleiben), sowie Tips für seine Verwendung in einer Rollenspielrunde (der Idiot sollte reichlich dumm gespielt werden).
Hierzu gibt's eine lecker Zusammenstellung von neuen Berufen (sehr schön: das Hofnarr-Kit), neue Fertigkeiten (mit der Spezialfähigkeit: Geld und Zeit verschwenden) und speziellen Ausrüstungsgegenständen, die gemeinhin nur von dieser Klasse benutzt werden (z. B. der Rückenkratzer mit pneumatischem Gelenk und beleuchteten Fingern +2, eine fiese Nahkampfwaffe).
Wenn das alles einem zusagt, hat man zuviele von diesen Dingern gelesen und sollte auf jeden Fall einen psychologischen Berater seiner Wahl aufsuchen. Tut man dies nicht, ist es auch nicht schlimm, zur Not kann man immer noch in der Politik Karriere machen.
Dies ist die Gattung "Jede Facette muß im Rollenspiel beleutet werden". Was tun Helden den so im Alltagsleben: welche Dinge benutzen sie zum Hintern-Abwischen nach dem Donnerbalken? Welche Modelle an stimmungsvollen Donnerbalken kann man überhaupt empfehlen? Wie wäscht er/sie sich danach die Hände und womit (hierzu ein neues Charakterbogenbeiblatt)? Welche Puddinggeschmackssorten versüßen unseren Helden die sonntäglichen Ruhestunden (mit Suchtregeln und Zunehmtabellen)?
Diese Erweiterung ist eine exzellente Wahl für Gruppen, in denen die Spieler in ihren Aktenordnern verzeichnen müssen, ob die Baumwollhosen ihrer Charaktere mit Kreuzstich- oder normaler Naht genäht wurden. Ihnen wird die Gelegenheit verschafft, mindestens 31 Blätter an Zusatzinfos ihren Ordnern beizuheften, als Sonderbeilage gibt es dann einen Aufnahmeantrag für eine geschlossene Abteilung ihrer Wahl.
Diese Art Erweiterungen ist etwas für die absoluten Freaks eines Genres. Jeder noch so ausgefallene und unwichtige Aspekt einer Maschine oder eines "neuen" Ausrüstungsgegenstandes wird hier beleuchtet, in Zeichnungen und Blaupausen dargelegt, seziert und mit Werten versehen (Bei Fahrzeugen mit Zerquetschfaktor für Räder bzw. Ketten). Dazu hat das ganze noch einen unangenehm militärgeilen Unterton. Diese Gattung ist daher besonders empfehlenswert für Leute, die als Kind mit Luftgewehren Tauben erschossen und schon mit zehn Jahren Klamotten in Tarnfarben getragen haben. Zumindest sollte man Armdrücken für eine legitime und erquickende Art der sportlichen Freizeitbeschäftigung halten.
Schlägt man unter den entsprechenden Stichworten in einer gut sortierten Bibliothek nach (z. B. an der Uni) stellt man schnell fest, daß das Material meistens Geschichtsbüchern o. ä. entstammt. Sogar die Zeichnungen sind einfach herauskopiert. (die Linien um die Bilder herum sind nämlich keine Rahmen - das sind die Schneidespuren der Schere).
Nun gut, was es nicht in der Bib gibt, sind die Werte - aber hat man als erfahrener Spieler irgendwelche Probleme die, von bekannten Gerätschaften ausgehend, zu improvisieren? Wer an dieser Stelle ja sagt, soll bitte darüber nachdenken, mich zu adoptieren; ich habe mir schon immer reiche Eltern gewünscht.
Städtebeschreibungen erfreuen sich als Quellenmaterial immer einer ganz besonderen Beliebtheit. Liebevoll ausgearbeitete Gassen (ohne Namen) mit wundervollen Läden (ach, schau an, ein Waffenladen!!), mit besonderen Tempeln (nein, hier gibt es auch einen Tempel für den Gott der Fruchtbarkeit, das ist ja der Höhepunkt meine Sightseeingtour) und vielen Extras mehr (mindestens eine Diebesgilde, einen Supermagier und 459 Bettlern). Die Karten dazu sind von einem Zufallsgenerator erstellt worden und die vorgestellten NPC's unterscheiden sich in keinster Weise von denen anderer Dörfer/Städte.
Die moderne Variante "Everything about Chicago" ist mehr als flüssig - überflüssig. Schaut einfach ein wenig mehr Fernsehen (sprich: selektiver) und blättert in Atlanten und schon habt ihr mehr Material als in ein 96 seitiges Büchlein für 59, 98 DM reinpaßt.
Eine Sammlung von Aufsätzen und Essays zu bestimmten Themen wie Leiten von Rollenspielen, Spielleiten, Wie mache ich den Meister? und Geschichten erzählen. Hat man sich alles durchgelesen, ist man so schlau wie vorher. Die Informationen (falls überhaupt nützliche vorhanden waren) sind durch den Ohrzwischenraum geperlt ohne auch nur eine Schleimspur der wahrhaftigen Erleuchtung zu hinterlassen. Versucht man nach etwa zwei Wochen jemandem zu erzählen, worum es überhaupt ging, hat man das schon wieder vergessen. Deswegen kann man diesen Titel mit dem Namen...äh...hmm...worüber habe ich jetzt...keine Ahnung...egal...
Diese Angriffe auf unsere Spielekultur entstammen der langen Tradition des Spiels zum Film, Buch, Theaterstück, Auto, Prominentenfurz. Das Regelbuch ist meistens dick. Klar, wurden hier auch mindestens 122 Seiten Fotos aus der Vorlage verwendet. Der Rest des Buches sind Regeln. Hat man Pech, sind sie gut. Dann möchte man den ganzen Rotz auch noch ausprobieren, statt ihn gleich hinzurichten (s. o.). Beim Probespielen muß man dann leider feststellen, daß die vorgestellte Welt aufgrund ihrer Vorlage viel zu eng gefaßt ist, um wirklich interessantes Spiel zu garantieren. Komischerweise erscheint zu keinem der Vertreter sonderlich viel Erweiterungsmaterial, hauptsache man hat noch den letzten Hosenknopf aus den Fans herausgeholt, solange die ganze Modetrendwelle noch schwappte. Ein neuer Vertreter dieses Genres wird das The Kelly Family™ Roleplaying Game. Hier übernimmt man den Part eines der berühmten Schmonzettenträllersprößlinge. Neue Attribute beeinhalten Zu-Tränen-rühren-Faktor, Zerlumpt-wirken-Wert sowie Fertigkeiten wie Pappa-gehorchen. Auffällig das Fehlen von musikalischen Talenten außer Singen-bis-das-Glas-zerspringt. Es ist auch schon eine Erweiterung mit dem Namen The Tax Scandal angekündigt. Hier kann man die Rolle eines wackeren Finanzbeamten übernehmen, der versuchen muß, unseren Pseudekeltenbubis und -mädels einen deftigen Hinterziehungsvorwurf ans Bein zu nageln. In Irland ist dieses Spiel übrigens verboten; die Verdächtigungen, daß echte Iren tatsächlich so aussehen, hat man da nämlich gründlich satt.
"Er schrieb es herunter wie früher, wie immer. Er vermochte lange und zäh an einem Werk zu sitzen; er hatte es bewiesen."
Arnold Zweig, Junge Frau von 1914
Um Beispiele zu finden, braucht man tatsächlich keinen Blick in die düstere Zukunft, ein Blick in aktuelle Regale reicht gemeinhin für ein Anschwellen des Halses.
Folgend meine persönliche Top Five an Überflüssigkeiten.
"And the winner is..."
Oskarverleihungspannungsmache
Öffnen wir diese Packung fällt uns ein Stück Stoff entgegen, daß von der Farbgebung her gut und gerne als Warnschild fungieren könnte. Ein Billiggelb mit hingewischtem Blau wechselt sich geschmacklos mit Schimmelpilzgrün ab. Das ganze wird von einem Fragezeichen überschattet, daß sich fraglos über dem Kopf des Betrachters bildet: "Was soll ich eigentlich mit so einem Müll?" Die ganze Angelegenheit enthält trotz allem eine gehörige Überraschung für den Kunden bereit: der Preis ist unangemessen hoch. Hier stimmt wirklich alles (nicht), das gibt Platz 1.
Auch wenn jetzt einige denken, ich würde unnötig moralisieren, aber in einer Zeit, in der es Vernichtungslager gab, habe ich keinen Spaß Superhelden gegen Schurken mit klangvollen Namen wie Captain Nazi kämpfen zu lassen.
Der Faschismus war und ist eine ernste Angelegenheit, die sich gerade in diesem Fall durch simples Bösewichtern-auf-die-Fresse-hauen nicht erledigen wird.
Davon ab: der Druck ist allerletzte Kajüte, die Zeichnungen erinnern an die Tintenklecksteste bei traditionellen Psychoanalytikern ("Und was sagt Ihnen dieses Bild? Wie, schon wieder eine Pistole?"). Platz 2.
Also hier haben wir ein ganz besonderes Zückerchen für die Rollenspielpferde. Gibt es für die Grundcharakterklassen für AD&D.
Ein formschöner Plastikkoffer, mit dem man noch nicht mal einen leeren Milchkarton sicher transportieren könnte, gefülllt mit allem was die Charakterklasse braucht und mit diesem Koffer auch weiterhin nicht bekommt: Drei Zinnfiguren (wow!), ein paar Billigwürfel, einen ganzen Bleistift (groooßartig, da steht sogar AD&D drauf!!), Papier zum Karten zeichnen in vier verschiedenen Drucken (ja mein Gott, die guten Ideen reißen ja kaum ab, ich wußte bis dahin gar nicht, auf was ich sonst hätte Karten zeichnen sollen) und schließlich Charakterbögen und Informationen zur entsprechenden Charakterklasse und Miniturmalanleiung auf wahnsinnig umfangreichen 8 (in Worten: acht) Seiten. Krieg und Frieden ist ja direkt kurzgefaßt dagegen.
Bei soviel Geistesbrillianz tun ca. 45 DM gar nicht weh.
Hierzu nicht lange geschwafelt: ist schon irgendjemandem eingefallen, wofür ich Zinnfiguren für ein Trading Card Game brauche? Entweder spielen 90% der Käufer das ganze Ding falsch oder die anderen 10% sind kreativer als die Spieledesigner.
Von jedem Haus gibt es da ein Set. Inhalt: ein Recruitment Poster, einen Vertrag, einen Einschreibungsbogen, einen Sticker und ähnlichem Firlefanz für nur noch 25 DM. Hey Jungs, mal im Ernst, wenn ihr das wirklich soooo gerne wollt: die Bundeswehr freut sich wirklich wie ein Honigkuchenschaukelpferd, wenn sie Werbeträger hat, die so treu sind und dafür auch noch Geld ausgeben.
"Kein Vokabular ist so verkommen wie das, das sich auf Kunst bezieht. Was da kursiert, hätte jede andere Disziplin längst zugrunde gerichtet."
Martin Walser, Ein weiterer Tagtraum vom Theater